Fachkräftemangel

  • Guten Abend in die Runde,


    ich schreibe diverse Artikel auf Marktplatz Sicherheit über möglichst aktuelle Themen rund um die Sicherheitsbranche. Zurzeit scheint es, als würde der Dauerbrenner "Fachkräftemangel" wieder besonders durch die Decke gehen. Mich würde sehr interessieren, was meint ihr dazu? Woran liegt es und wie könnte man das endlich in den Griff bekommen?

  • Ich persönlich, gehe davon aus, dass sich das Gewerbe immer mehr aufspalten wird.

    Low Dienst und gehobenen Dienst.

    Würde auf einfachen Weg den Mangel etwas abmildern.

    Macht wenig Sinn, ein Facharbeiter auf der Baustelle zu verheizten.


    Das zieht die Moral runter und die Person wird langfristig das Gewerbe verlassen.


    Das gibt es in anderen Bereichen auch.

    So kauft jemand eine Premiumfahrzeug und ein anderes ein gerade so fahrendes Auto.


    So wird es auch mit Kunden sein, im Sicherheitsgewerbe.

    Wer billig will, bekommt Billig.

    Aber, wer Wertigkeit verlangt, sollte diese auch angeboten bekommen werden.

  • Guten Abend in die Runde,


    ich schreibe diverse Artikel auf Marktplatz Sicherheit über möglichst aktuelle Themen rund um die Sicherheitsbranche. Zurzeit scheint es, als würde der Dauerbrenner "Fachkräftemangel" wieder besonders durch die Decke gehen. Mich würde sehr interessieren, was meint ihr dazu? Woran liegt es und wie könnte man das endlich in den Griff bekommen?

    Grundsätzlich stimme ich gefühlsmäßig deiner Behauptung zu. Aber stimmt das? Ich versuche mich mal an einer Analyse unter Verwendung des Statistiksatzes des BDSW.


    Begriffserklärung:

    Was sind denn Fachkräfte? Folge ich den Stellenanzeigen und Slang der Weiterbildungsportalen der BA, sind damit qualifizierte Sachkundekräfte und aufwärts gemeint. Aber ich glaube nicht dass das stimmt. Die Sachkunde ist eine gewerberechtliche Zugangsvoraussetzung, keine Weiterbildung oder Ausbildung. Dies wird auch nochmal durch die MTV unterstrichen, in denen nachzulesen ist, dass die Sachkundekräfte Helfer sind.

    Daher begrenze ich diesen Begriff für mein Verständnis auf die Qualifikationen GSSK und aufwärts.


    Ist-Zustand:

    Zur Zeit haben wir im Bewachungsgewerbe ca. 11.000 unbesetzte Stellen, hinzu kommen Ausfälle durch Krankheit oder Fluktuation innerhalb des Gewerbes. Das sind keinesfalls nur Fachkräfte, ich glaube das sind größtenteils Unterrichtungs- und Sachkundekräfte.

    Es besteht also grundsätzlich ein Arbeitskräftemangel.

    Zur Zeit engagieren sich ca. 260.000 Wachpersonen in BDSW-Unternehmen, national wären es sogar 300.000.


    Seit Einführung der Ausbildung wurden ca. 20.600 Ausbildungsverträge begründet.

    Andererseits wurden seit der Einführung der FKSS und SKSS ca. 12.300 Ausbildungsverhältnisse erfolgreich zu Ende gebracht.

    Heißt, rund 50 % der Ausbildungen wurden vorzeitig beendet oder nicht erfolgreich zu Ende gebracht.

    Damit sind die Ausbildungsberufe im Wachgewerbe auf Platz 1 der gescheiterten Ausbildungsberufe im Vergleich mit anderen Ausbildungen und Branchen.

    Aber hinzu kommen noch bei den Weiterbildungen ca. 2580 Meister und ca. 11.500 GSSK.


    Woran das liegt:

    25 % aller sozialversicherungspflichtigen SMA sind über 55 Jahre alt, bei den geringfügig Beschäftigten sind es sogar 28 %. Hier begünstigt die baldige Berentung dieser Mitarbeiter den Personalschwund.

    Ich unterstelle, die wenigsten dieser SMA haben Qualifikationen der GSSK oder aufwärts.


    Zahlenspielerei:

    260.000 SMA (von BDSW Unternehmen), von denen gehen 25 % bald in Rente, das wären ca. 65.000 SMA.

    Seit 2005 haben sich 2580 Meister + 11.500 GSSK + 12.300 SKSS/FKSS qualifiziert.

    Das sind 26.380 Fachkräfte. Ergibt unterm Strich eine zukünftige Anzahl von 221.380 Wachpersonen.

    Aber auch nur wenn man voraussetzt, dass keine SMA in andere Gewerbe abwandern oder ihre Zuverlässigkeit verlieren.

    Und das passiert immer wieder und das kann ich gut nachvollziehen, aber dafür kann ich keine Quellen/Zahlen finden, daher lass ich das unberücksichtigt.


    Bei 11.000 offenen Stellen zur Zeit und 260.000 SMA (in BDSW Unternehmen), 300.000 sogar insgesamt, ergibt das ein baldiges Defizit von mindestens ca. 50.000 Wachpersonen.

    Hier sind nicht Krankheitsausfälle, Urlaubsvertretungen, Verlust der Zuverlässigkeit und Abwanderungen berücksichtigt.

    Wir können also grob über den Daumen gepeilt, von 90.000 zukünftigen offenen Stellen ausgehen und das auch nur, wenn man unterstellt das die Auftragslage gleich bleibt. Aber das ist ja nicht der Fall, es kommen eher mehr Wachverträge zukünftig zu Stande.

    Also sind es perspektivisch weit über 100.000 offene Stellen, die zukünftig unbesetzt bleiben.

    Andererseits gibt es ja noch die Sachkunde- und Unterrichtungskräfte, die dieses Defizit etwas abmildern könnten.


    Warum ist das so? Meiner Meinung durch Ausbeutung und unfachliche Ausbilder, fehlende Geringschätzung der Gesellschaft aber auch der Wachpersonen für ihr Gewerbe, der Lohnstruktur und Arbeitsbedingungen. Man kann durchaus sagen, dass die Prekärisierung der Gesellschaft sich nicht förderlich auf das ohnehin historisch prekär gewachsene Wachgewerbe auswirkt.


    Verantwortung des BDSW:

    Grundsätzlich hat der BDSW dieses Problem selbst verursacht. Es ist heutzutage nicht wirklich erstrebenswert in diesem Gewerbe zu arbeiten, vergleicht man mal andere nichtakademische Gewerbe. Die Zeiten in denen die SMA 260 Stunden pro Monat schrubben, ist vorbei. Work-Life Balance ist heutiger Anspruch der meisten arbeitenden Menschen (Mindestlohn sei Dank, wollte der BDSW auch nicht).

    Und diese Arbeitsbedingungen, die sich stets am unteren Ende des gesetzlichen Minimums bewegen, hat der BDSW selbst verursacht. Ob der BMTV mit der arbeitgeberfreundlichen Scheingewerkschaft GÖD oder der deutlichen Überlegenheit bei Tarifvertragsverhandlungen mit Ver.Di, der BDSW weiß immer sehr dominant seine Interessen zu vertreten.

    Und das ist grundsätzlich auch verständlich, denn das ist ja seine Aufgabe. Aber wir leben heute in einer Zeit der Entpolitisierung der Massen, die meisten SMA sind nicht grade gewerkschaftlich oder politisch progressiv eingestellt. Denn das wäre ja "links" und mit dem Label lassen sich die wenigsten Menschen heutzutage beschreiben, SMA erst recht. Natürlich sind auch die Unternehmen gewerkschaftlich organisierten SMA eher kritisch eingestellt. Nicht selten sind Einsatzleiter Betriebsratsmitglieder und die Unternehmer nehmen gezielt verdeckt Einfluss auf die Zusammensetzung des BR.

    Nicht unberücksichtigt darf auch nicht der Charakter dieses Gewerbes bleiben, es geht im wesentlichen um Arbeitnehmerüberlassungen. Die SMA sind an vielen Standorten verteilt und arbeiten häufig im 24 Stunden Schichtdienst, das erschwert eine gewerkschaftliche Organisierung enorm.

    All das führt zu einer deutlichen Dominanz des BDSW und seiner Forderungen. Das kann man getrost als Turbokapitalismus beschreiben.


    Was sind Lösungsstrategien des BDSW?

    So fordert der BDSW die Anerkennung des Wachgewerbes als KRITIS, möchte ein Streikverbot durchsetzen, die Regelungen der Arbeitnehmerüberlassungen für das Wachgewerbe beseitigen und Wachunternehmen außerhalb des BDSW auflösen.

    Gleichzeitig ist die Weigerung zu erkennen, deutlich höhere Löhne zu zahlen und Besserungen bei den Arbeitsbedingungen zu schaffen.

    Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, echte Weiterbildungen und freiwillige Leistungen sucht man vergebens.

    Gleichzeitig will der BDSW aber mehr Anerkennung für das Wachgewerbe.

    Klingt für mich nach einer Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit.


    Was wären meine Ideen?

    Es gibt zu viele Alibi-Jobs, bei denen der SMA lediglich für die Versicherung anwesend ist. Echte Sicherheit unter Beachtung des KVP, DIN 77200 und PDCA ist selten zu finden.

    Im wesentlichen muss das Gewerbe verschlankt werden, sowohl hinsichtlich Aufträge aber auch Mitarbeiter.

    Nur so lässt sich das Gewerbe professionalisieren und bessere Arbeitsbedingungen schaffen.

    Aber das wäre entgegengesetzt der Interessen des BDSW, dessen Mitgliedsunternehmen ja Geld verdienen wollen/müssen.


    Es fallen mir sicherlich weitere Punkte ein, aber das wäre für den Anfang mein Input.

    Und natürlich widersprechen sich einige Punkte, z. B. 3. und 6., aber ich betrachte es als Brainstormergebnis und nicht als konkreten Fahrplan.

    1. Unterrichtung abschaffen

    2. Sachkundeprüfungen durch BDSW zertifizierte Fachschulen abnehmen lassen, aber nicht durch die dort eingesetzten Dozenten

    3. Stundenkosten für Sachkundepersonal auf 30 € anheben, dann wird das auch nicht mehr auf dem Markt angefragt

    4. Wachgewerbe attraktiver gestalten, mit deutlichen Zugeständnissen des BDSW hinsichtlich Urlaubstagen, Zulagen, Lohn jenseits der gesetzlichen Mindestvorgaben

    5. Auszubildende nicht mehr so krass verheizen, sondern fair und gem. BBiG behandeln

    6. Jede Sachkundekraft muss innerhalb von 5 Jahren nach der Prüfung die GSSK ablegen, ansonsten muss die Sachkunde bei der IHK nachgeprüft werden

    7. Medienoffensive zur Anhebung der positiven Wahrnehmung in der Gesellschaft mit Youtubeformaten oder Filmen oder Serien im Fernsehen (ähnlich wie die Ehrenpflegas)

    8. Nachdem das Wachgewerbe dem Innenministerium untergliedert wurde, muss/sollte auch eine hiermit verbundene Anhebung der Rechte und Verantwortungen erfolgen

    9. § 34a GewO streichen und das Sicherheitsdienstleistungsgesetz endlich realisieren

    10. Bundesmantelrahmentarifvertrag mit der GÖD aufkündigen, mit solchen Tricks endlich aufhören und nur mit Ver.Di verhandeln, unter Beachtung der Attraktivitätssteigerung für potentielle Arbeitnehmer

    11. Bewachung von KRITIS nicht mit externen Wachunternehmen gewährleisten, sondern nur mit hauseigenen SMA

    12. Arbeitsverträge von BDSW Unternehmen standardisieren

    13. Keine Alibi-Sicherheitsleistungen verkaufen, um die Versicherungskosten des Kunden gering zu halten

    14. Bei der Beurteilung durch das Gewerbeamt den Parameter EIGNUNG ähnlich wie im WaffG hinzufügen

    15. Nachweis der Beherrschung der deutschen Sprache und Schrift in wirklich ausreichender Art und Weise

    16. SKSS und GSSK nicht gleichgestellt entlohnen

    17. Deutlicher Lohnabstand zwischen GSSK, SKSS, FKSS, MSS

    18. Verpflichtete Weiterbildungspflichten mit ~40 UE pro Jahr oder ähnlich wie beim Brandschutzbeauftragten Weiterbildungspflicht durch Teilnahme an zertifizierten Lehrveranstaltungen bei den Sachversicherern

    19. Jede Bewachung, egal ob Arbeitnehmerüberlassung oder unternehmensintern, unter den Geltungsbereich des Sicherheitsdienstleistungsgesetz/§ 34a GewO stellen

    20. Klare Trennung von Sicherheit und Service, um Missbrauch von Wachpersonen für wachfremde Tätigkeiten durch die Kunden für billige Hilfskräfte zu erschweren


    Grüße

  • Liegt für mich hauptsächlich an den Arbeitsbedingungen. Als ich Anfang 2018 wieder ins Gewerbe eingestiegen bin hatte ich anfangs schlechte Arbeitszeiten und schlechte Bezahlung. Nach Externenprüfung SKSS und Wechsel in eine andere Firma im Bereich Werkschutz war es gute Kohle und schlechte Arbeitszeiten. Vom Stress in den 4 Monaten als OL bis Vertragsende der Firma im Objekt wollen wir gar nicht reden, war aber auch eine gute Erfahrung. Die Nachfolgefirma hätte mich zwar als Mitarbeiter übernommen aber 25 Cent weniger bezahlt. Sicherlich nicht.

    Der SMA welcher mit soldatischer Pflichterfüllung an der Pforte 240h das Vaterland verteidigt stirbt langsam aus, aber genau damit haben viele Firmen ihre Kohle gemacht.

    Die Arbeitskultur ist in der Branche einfach nur toxisch, gefühlt am Beginn der Industrialisierung stehen geblieben was Arbeitszeiten, Wertschätzung und Umgang mit Mitarbeitern angeht. Oder was sollen diese 12h Schichten die eigentlich nur gestattet sind wenn ein wesentlicher Teil aus Arbeitsbereitschaft besteht? Das trifft vllt auf Nachtwache auf einer Baustelle zu, aber nicht auf einen geschäftigen Empfang oder ein LKW Tor.


    Ich bin raus aus der Sicherheitsdienstleistungsbranche, arbeite direkt angestellt im Bereich Loss Prevention bei einem großen Handelsunternehmen, habe gute Arbeitszeiten und fühle mich durch meinen AG respektiert.


    In die Sicherheitsdienstleistungsbranche bringt mich nichts mehr zurück, man kann so gut arbeiten wie man will und kommt kaum weiter. Die Arbeit im Bereich Sicherheit mag ich und werde dabei bleiben.

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