Beiträge von Sindri

    http://www.spiegel.de/auto/aktuell/0,1518,518218,00.html


    Cool durch die Terror-Todeszone
    Von Tom Grünweg


    Ihre Waffen können sie im Schlaf zerlegen. Doch wie man richtig Auto fährt, müssen viele Personenschützer erst lernen - Trainer Michael Caspers bringt es ihnen bei: Er nimmt sie auf einem alten Militärflugplatz unter Feuer.


    Die Augen von Claas Niehuus* sind vor Schreck geweitet. Ganz plötzlich hat der Fahrer vor ihm den Wagen herumgerissen. Zwar hat der Holländer seinen 7er BMW gerade noch abbremsen können - doch zum Wenden fehlt ihm jetzt der Platz, zum Nachdenken die Zeit. Beide Autos stehen Stoßstange an Stoßstange. Niehuus' Gegenüber schiebt und drückt. Während der Beifahrer des Angreifers eine Pistole in Anschlag bringt.


    Instinktiv schaltet Niehuus in den Rückwärtsgang, und schießt mit Vollgas nach hinten. Zwar rammt ihn sein Gegner noch einmal. Doch keine zehn Sekunden, nachdem es brenzlig wurde, ist der holländische Chauffeur auf und davon. Hätte ein Politiker oder Spitzenmanager im Fond gesessen, müsste der sich jetzt bei seinem Lebensretter Niehuus bedanken.


    Niehuus lernt bei einem Security-Fahrertraining auf dem Gelände eines ehemaligen Militärflughafens nahe Berlin, knifflige Situationen besser zu meistern. Die Teilnehmer der BMW-Schulung möchten nur mit Vornamen genannt werden. Sie sind Cheffahrer und VIP-Chauffeure. Ihre Fahrgäste fühlen sich bedroht - und leisten sich gepanzerte Limousinen nebst Fahrer.


    "Ein sicheres Auto alleine reicht für den Schutz nicht aus", sagt Michael Caspers, der gerade noch den Angriffswagen fuhr und das Training leitet. "Nur wenn der Fahrer auch damit umzugehen versteht, kann sich der Schützling wirklich sicher fühlen."


    Was sonst passieren kann, zeigt sich bei der nächsten Trainingsfahrt. Da macht der ehemalige Polizist Caspers, der sein Handwerk 25 Jahre lang bei Polizei und Sondereinsatzkommandos gelernt hat, mitten auf der Strecke eine Handbremswende. Er rammt sein Gegenüber. Diesmal sitzt diesmal Mahmud im 7er. Der Botschaftsfahrer aus Kairo ist nervös, sucht mehrere Sekunden nach dem Rückwärtsgang. Währenddessen zerplatzt - pffft, pffft, pffft - eine Farbpatrone nach der anderen auf der Scheibe.


    Selbst eine noch so stabile Panzerung hält das nicht lange aus. In einem normalen Auto wäre Mahmud jetzt mausetot.


    3000 Euro für den Crashkurs der Profi-Chauffeure


    "Rund 500 Teilnehmer pro Jahr schleusen wir durch die Kurse", sagt Caspers. Für einen ausgewählten Kundenkreis werden regelmäßig sogenannte High-Security-Übungen veranstaltet, vor allem für die Fahrer potentiell gefährdeter Personen.


    Zu den Kunden zählen die Käufer schusssicherer BMW-Modells, bei denen Trainingsgutscheine quasi als Dreingabe im Handschuhfach liegen - aber auch die Vorstandsbüros großer Unternehmen, Botschaften oder Ministerien buchen den Crashkurs. Diesmal haben neben Mahmud mehrere Russen, eine Sondereinheit der Dubai Police, ein privater Sicherheitsdienst aus Tschechien und ein Chemieunternehmen jeweils gut 3000 Euro für die viertägige Schulung bezahlt.


    "Am Anfang steht fast dieselbe Theorie wie bei einem normalen Training", sagt Caspers. Denn von ihrem Auto wissen die Teilnehmer oft erschreckend wenig. "Die Waffe können sie im Schlaf auseinander- und wieder zusammenbauen, und zum Schießen gehen sie einmal die Woche. Doch wie viele Umdrehungen ihr Lenkrad von Anschlag zu Anschlag braucht, können sie oft nicht beantworten."


    Sicherheitsgurte gelten in Moskau als "weibisch"


    Selbst den Einsatz des Sicherheitsgurtes muss Caspers den harten Jungs nahebringen. Vor allem den Russen. "In Moskau gilt man als weibisch, wenn man sich anschnallt", lässt einer der Teilnehmer übersetzen. Kopfschütteln. "Eine Demonstrationsfahrt später, und der trägt den Gurt freiwillig", sagt der Trainer. Caspers blafft seine zahlenden Kunden auch schon mal an. Hier darf es ruhig ein wenig nach Kaserne klingen. "Das ist nur authentisch."


    Authentisch ist auch der Fuhrpark. Zwar werden manche Übungen mit normalen Pkw-Modellen gefahren. Doch die meiste Zeit rasen die Chauffeure mit gepanzerten Limousinen über den Parcours. Sie müssen lernen, wie mühsam es ist, die vier Tonnen schweren Dickschiffe unter Kontrolle zu halten.


    Am dritten Tag beginnt, was Caspers "großes Kino" nennt: Von Stunde zu Stunde werden die Übungen realistischer und die Bedrohungen größer. Den Slalom fahren die Teilnehmer jetzt genauso schnell rückwärts wie andere vorwärts. Die Handbremswende beherrschen sie aus dem Effeff. Von Blendgranaten, Donnerschlägen und Nebelkerzen lassen sie sich nicht mehr beirren. Den Vordermann schubsen sie von der Straße, als führe er ein Spielzeugauto. Wo es keinen Fluchtweg gibt, pflügen sie zur Not auch mit Spitzengeschwindigkeit über den Grünstreifen. Wie das Begleitfahrzeug eine VIP-Limousine abschirmt, hat ihnen der Trainer auch schon erklärt.


    Immer wieder steigt Caspers ins Auto und zeigt den Konvois auf dem Handling-Kurs, welch hohes Risiko sie eingehen. Kaum lassen Wladimir und Alexandr die Lücke zwischen ihren Wagen zu groß werden - schon kracht der Trainer dem Bewacher in die Seite und drängt ihn gnadenlos in den Grünstreifen.


    Dass die Autos, die Caspers' Team liebevoll Schrotties nennt, nach einer Woche Training und oft nicht mal hundert Kilometern reif für die Presse sind, stört kaum: Wofür gibt es schließlich eine Vorserienproduktion, die ohnehin nicht an Kunden verkauft werden darf?


    Explosionen und Stichflammen bei Nacht


    Schon bei Tag sind die Übungen für den Fahrer eine schwere Prüfung - und erst recht für den Gast im Fond. Noch spannender wird es allerdings, wenn sich die Dunkelheit über die Uckermark senkt und man auf dem Flugplatz die Hand nicht mehr vor Augen sieht.


    Die Chauffeure müssen dann meterlangen Stichflammen ausweichen, im dünnen Lichtschein des Vordermanns über die improvisierte Rennstrecke jagen und dabei stets auf alles gefasst sein. "Routine kann tödlich sein", sagt Ivo, der für einen Energiekonzern fährt und hier vor allem sein Gefahrenbewusstsein, seine Reaktionen und Instinkte trainieren will.


    Jetzt stehen bei ihm alle Antennen auf Empfang, während er mit hundert Sachen durch die Nacht jagt. Nur, es nutzt nichts. Aus der Dunkelheit hat sich Caspers angeschlichen, mit einem lauten Schlag an seinem Kofferraum angedockt und drängt ihn jetzt langsam von der Straße.


    "Game Over", quäkt es aus dem Funkgerät, und über Caspers Lippen spielt ein kleines Lächeln. Wieder ein Punkt für den Räuber, der früher mal Gendarm gewesen ist.


    *Name von der Redaktion geändert


    Quelle: spiegel-online (23.11.07, 09:06)