Grundrechts-Diskussion aus Thread "Gäfgen-Entschädigung

  • Zitat von Paranoia

    Gäfgen bekommt den Schadensersatz für die Verletzung seiner Grundrechte. Du sagst, er dürfte keine Entschädigung bekommen, dafür dass ihm Folter angedroht wurde (und er imo auch in den Polizeigriff genommen wurde.)


    Noch einmal:
    Du sprichst etwas zu allgemein über die Verletzung seiner Grundrechte.


    Gewalt bei der Festnahme und ggf. auch später z.B. beim Verbringen von A nach B ist im Rahmen der geltenden Gesetze rechtmässig und bedarf keiner Entschädigung.
    In das hierbei zur Frage stehende Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit darf der Staat eingreifen und es einschränken.
    Der "Polizeigriff" hat damit also nichts zu tun.


    Es geht einzig und alleine um die Androhung von Folter (und in der Konsequenz auch um deren Durchführung), was einen Eingriff in die Menschenwürde des Betroffenen darstellt. Hier liegt der Verstoß des Staates.


    Es geht hier nicht um die Gesundheit des Betroffenen.

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  • Aehm, nein.


    Nicht ganz sauber ist es, von Schadensersatz zu sprechen, juristisch korrekt wäre Entschädigung.


    Das es hier um den Eingriff in die Menschenwürde handelt, ist eine nicht ganz saubere Verkürzung der juristischen Grundlage, die zwar von der Presse gerne genutzt wird und auf dem Urteil des EugH beruht. Wenn man den Begründungen zum Thema Folter aus dem deutschen Recht nachgeht, ist es nicht ganz falsch zu sagen, dass Folter ein Verstoß gegen die Menschenrechte ist, aber dies beruht darauf, dass hier mit einem Eingriff in das absolute Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit eingegriffen wird.


    Um es aufzubauen: Die Androhung von Folter ist die Androhung eines Übels zum Erreichen eines Ziels, also eine juristische Nötigung. Nicht jede Nötigung ist rechtswidrig, da es auch berechtigte Nötigungen geben kann oder auch eine Nötigung entschuldbar sein kann (so wird eine Nötigungshandlung als Notwehr definiert/ entschuldigen im Sinne von keiner strafrechtlcihen Schuld). Hätte man G. in diesem Fall nur genötigt, um Ihn zur Aussage zu bewegen, z. B. in dem man Ihn mit Einzelhaft/Fernsehverbot/langwierigen Befragungen usw. gedroht hätte, wäre dieses nach der juristischen Definition im Rahmen einer Notwehrhandlung entschuldbar.
    Die Drohung zur Erreichen des Ziels kann aber dann nicht mehr entschuldigt werden, wenn mit dem Eingriff in ein Unantastbares Grundrecht > "körperliche Unversehrtheit eingegriffen wird. Zwar kann das Recht nach Artikel 2 II durch Gesetz eingeschränkt werden, aber entsprechend der Schranken-Schranken- Theorie nach Artikel 19 nur insoweit, dass der Kernbereich des Grundrechtes hier verletzt ist. Somit ist diese Drohung absolut unzulässig und auch nicht entschuldbar. Daher ist die Folterdrohung eine Drohung mit einem Verstoß gegen Artikel 2 "körperliche Unversehrheit" und daher eine Verletzung der Menschenwürde "Artikel 1".


    Auf dieser Grundlage beruht auch das Urteil des EugH. Das Gericht hat hier keine aktive Folter gesehen (auch hier wurde die "Befragung im Polizeigriff" ausgeklammert), somit keinen direkten Verstoß gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit, aber mit der Drohung dieses (absolut unzulässigen) Verstoßes einen Verstoß gegen die Menschenwürde.


    Ich werte daher den Eingriff in die Menschenwürde durch Drohung mit einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit als einen Verstoß gegen 2 Menschenrechte und nicht nur als Verstoß gegen die Menschenwürde. Deswegen spreche ich von der Verletzung seiner Grundrechte.


    Para[/quote]

  • Zitat von Paranoia

    das absolute Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit


    Was ist damit gemeint?



    Im Weiteren:
    Das Urteil des EGMR kann hier in dieser Sache aussen vor gelassen werden. Dort ging es ausdrücklich um die Folter bzw. deren Androhung, welche nach der Menschenrechtskonvention verboten ist.


    Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist in der deutschen Verfassung verbrieft, die europäische Menschenrechtskonvention kennt dieses Recht in dieser Form gar nicht.


    Nach deutschem Recht stellt die Androhung von Folter eben den besagten Eingriff in die Würde des Menschen dar. Das ist in jedem Fall verboten.
    Die körperliche Unversehrtheit darf jedoch eingeschränkt werden: Das ist eben nicht in jeden Fall verboten sondern kann auch erlaubt sein, sofern es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt und die Einschränkung innerhalb der gesetzlichen Schranken bleibt.

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  • Zitat von guardian_bw

    Was ist damit gemeint?


    Das absolute Grundrecht bzw. der Kernbereich des Grundrechtes, der nicht eingeschränkt werden kann, ohne dass dies einen Verstoß gegen die Verfassung darstellt.


    Ein Grundrecht stellt an sich erstmal ein Recht dar.
    Die meisten Grundrechte in der deutschen Verfassung können durch Gesetz beschränkt werden (1. Schranke)
    Nach Artikel 19 III und der Rechtssprechung des Verfassungsgerichtes hierzu dar die Einschränkung per Gesetz aber nicht soweit gehen, dass der Kernbereich des Grundrechtes eingeschränkt wird (Schranken - Schranke).


    Daher ist ein absolutes Grundrecht zum einen ein Grundrecht, bei dem keine Einschränkung durch Gesetz zulässig ist, zum anderen der Kernbereich eines "einschränkbaren" Grundrechtes, der nicht eingeschränkt werden darf. Folter als Eingriff in die körperliche Unversehrheit stellt so einen Eingriff in den Kernbereich dar und damit einen Eingriff in ein absolutes Grundrecht.


    Para

  • Dann habe ich es richtig verstanden,


    und du liegst falsch:
    Die körperliche Unversehrtheit stellt kein absolutes Grundrecht dar. In dieses Grundrecht darf der Staat eingreifen und es einschränken.


    Im Gegensatz zur Unantastbarkeit der Menschenwürde.



    Du gehst einen Umweg, wenn du schreibst der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zum Zwecke der Folter sei nicht erlaubt. Das stimmt natürlich, weil es hierfür keine staatliche Legitimation gibt.
    Nur:
    a) das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wird dadurch noch lange nicht zum absoluten Grundrecht (die deutsche Verfassung kennt nur ein einziges solches Grundrecht)


    b) stellt die bloße Androhung der Folter noch lange keinen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar, die Würde des Menschen wird hierbei jedoch auf jeden Fall angetastet.

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  • Aehm,


    nein.


    Absolute Grundrechte sind nicht nur Artikel 1 sondern auch die Bereiche der anderen Grundrechte, deren Einschränkung den "Wesensgehalt" der Rechte betrifft, und die daher nach Artikel 19 nicht eingeschränkt werden können. Daher liegst du falsch, wenn du sagst, dass Folter nur unzulässig ist, weil es dafür keine staatliche Legitimation gibt. Auch wenn der Bundestag in eine populistischen Handlung ein Gessetz erlassen würde, dass Folter in bestimmten Fällen erlaubt (zur Zeit wohl Terroristen, Extremisten, Kinderschänder und Killerspielspieler), würde dieses Gesetz in den Kernbereich von Artikel 2 eingreifen, in den ein Eingriff nicht zulässig ist. Denn entsprechend Artikel 19 darf kein Grundrecht durch eine gesetzliche Beschränkung in einem Umfang ausgehöhlt werden, dass der Kernbereich des Grundrechts angegriffen wurde.


    Es gibt zwar einige (polpulistische) Juristen, die auch eine Möglichkeit der Folter in Deuschtland sehen (meisten welche, die Leben gegen Leben aufwägen wollen), aber die Grundstimmung hier ist eindeutig, dass Folter gegen den Kernbereich des Artikel 2 verstoßen würde und damit generell nicht möglich ist. Auch nicht per Gesetz.


    Also: Wenn Folter kein unzulässiger Eingriff in ein Grundrecht wäre, wäre eine Drohung z. b. zur Rettung eines Kindes (auch durch Artikel 2 geschützt) rechlich zulässig, wodurch kein Verstoß gegen die Menschenwürde mehr vorliegen würde. Erst durch die Unzulässigkeit der Folter (weder durch Gesetz noch durch Notwehr) wird die Drohung damit unzulässig und damit ein Verstoß gegen die Menschenwürde.


    Der höhere Rang der Menschenwürde kommt erst dann ins Spiel, wenn es zur Abwägung zwischen den Grundrechten kommt. Dies war eigentlich mehr im Gerichtsverfahren gegen den mit Folter drohenden Polizisten wichtig, weil hier das Recht auf Leben des Jungen mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des G. in Konkurrenz stand(2 mal Artikel 2). Hierbei kam das Gericht zum Ergebniss das die Drohung mit Folter als Drohung mit einem Eingriff in Artikel 2 ein Verstoß gegen die Menschenwürde nach Artikel 1 ist und eine Abwägung mit Artikel 1 als absolutes Recht unzulässig ist.


    Para

  • Zitat von Paranoia

    Daher liegst du falsch, wenn du sagst, dass Folter nur unzulässig ist, weil es dafür keine staatliche Legitimation gibt.


    Das sage ich doch gar nicht.
    Staatliche Folter kann nie eine Legitimation erhalten, weil die Würde des Menschen unantastbar ist und durch die Ewigkeitsklausel ist dieses Grundrecht auch unabänderlich.
    Denkbar wäre höchstens eine vollständig andere Verfassung, aber hier würden wir nun vollends vom Thema abkommen.



    Was ich sage ist lediglich, dass die körperliche Unversehrtheit kein absolutes Grundrecht ist, und auch nicht durch Art. 19 (2) GG wird.
    Weiterhin sage ich, dass in dieses Recht nur dann eingegriffen werden kann, wenn es dafür eine Rechtsgrundlage gibt.
    Unmittelbarer Zwang stellt eine solche Rechtsgrundlage beispielsweise im Polizeirecht dar. Wie weit dieser unmittelbare Zwang gehen kann und darf, sowie auch zu welchem Zweck und wie lange der UZw angewandt werden darf, ist im Gesetz festgelegt.


    Im hessischen Polizeirecht ist die Anwendung von UZw zur Abgabe einer Erklärung ausgeschlossen (§52 (2) HSOG).
    Insofern wäre die Einschränkung der körperlichen Unversehrtheit nicht legitimiert und wir hätten einen Grundrechtsverstoß.


    Aber wie gesagt: Dadurch wird das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht zum absoluten Grundrecht.



    Die Geschichte mal etwas weiter gesponnen:
    Das Grundgesetz mit seinen Grundrechten ist als Schutz des Bürgers bzw. Menschen vor dem Staat zu sehen.
    Hätte nicht Herr Daschner als Polizist und damit als Vertreter des Staates gehandelt,
    sondern z.B. die Angehörigen des Kindes hätten die Folter angedroht und ggf. sogar angewendet, läge nicht einmal ein Verstoß gegen die Grundrechte vor.

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  • Zitat von guardian_bw

    Aber wie gesagt: Dadurch wird das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht zum absoluten Grundrecht.


    Ich kürze ab:


    Natürlich ist das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht in seiner Gesamtheit ein absolutes Grundrecht, aber es besitzt einen Kernbereich, der nicht zulässigerweise durch "normales" Gesetz eingeschränkt darf. Dieser Bereich steht zumindest einem absoluten Grundrecht gleich. Ich bin ein Verteter einer Rechtsauffassung, die jede Folter als einen Verstoß gegen diese Kernbereich und damit gegen ein absolutes Grundrecht wertet.


    Jede andere Auslegung würde dazu führen, dass die Folter nicht selber ein Verstoß gegen die Verfassung wäre und unter bestimmten Umständen doch zulässig wäre.


    Para

  • Mit Verlaub, ich denke du liegst mit deiner Auffassung falsch.


    Nicht in Bezug auf die Folter,
    nur in Bezug auf die Sache mit dem absoluten Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.


    Welcher Kernbereich sollte es denn sein, der dieses Grundrecht zum absoluten Grundrecht machen soll? Wenn selbst gezielter Schusswaffengebrauch gegen einen Menschen, ggf. sogar tödlich endend, gesetzlich legitimiert ist und keinen Grundrechtsverstoß darstellt?


    Es bleibt bei der Unantastbarbeit der menschlichen Würde, die eine Folter oder auch deren Androhung durch staatliche Organe verbietet. Die körperliche Unversehrtheit hat damit nichts zu tun. Hier hätte man ggf. höchstens einen weiteren Grundrechtsverstoß, neben dem Verstoß gegen Art. 1 (1) GG, wenn durch den Staat ohne gesetzliche Legitimation in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingegriffen wird.

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  • Hallo User:



    guardian_bw


    Das hast Du gut geschildert und so ist es auch. Der Wortlaut "absolutes" Grundrecht kenne ich nicht und ist auch unter Verfassungsrechtlern nicht geläufig.


    NUR der Artiklel 1 GG wird SCHRANKENLOS gewährt. ALLE anderen Grundrechte sind einschränkbar.
    (Das haben wir aber schon x-mal geschrieben)


    Paranoia
    Hast Du die Textblöcke irgendwo herauskopiert? Die sog. "Wesengehaltsgarantie" und die "Schranken-Schranken" sind nur unzureichend erklärt und Treffen den Sachverhalt nur zum Teil.
    Ich könnte hier ne superlange Ausarbeitung/Würdigung schreiben, habe aber keine Lust, da das wichtigste schon geschrieben worden ist.


    Kleines Beispiel: Ein Polizist erschießt rechtmässig einen Bankräuber!


    -->Was ist dann mit dem "absoluten" Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gem. Art. II GG?? Ist dann nicht in den Grundrechtskern/Grundrechtswesen eingegriffen worden (was Deiner Meinung ja nicht rechtmässig ist)???


    Aber jetzt ist gut


    Noch ist Sonne hier
    Ciao
    Zw


  • Wir sind hier in einer verfassungsrechtlichen Disskusion, bei der es auch unter Juristen unterschiedliche Auffassung gibt. Ich kann da nur sagen, dass sich meine Auffassung mit vielen anderen deckt.
    Allgemeine Rechtsauffassung:Entsprechend der Schranken-Schranken Theorie, die sich aus Artikel 19 herleitet, gibt es Kernbesteandteile jedes Grundrechtes, die nicht eingeschränkt werden können.
    Unterschiedliche Standpunkte: Umfang des Kernbereiches des einzelnen Grundrechte. Hier Recht auf Leben und körperliche Unversehrheit


    Ich kann hier nur eine entsprechende Lektüre sowohl zu den Schranken-Schranken empfehlen, als auch z. B. die unterschiedlichen rechtlichen Würdigungen zum gezielten Todesschuss.
    Die Thematik ist schon seit Jahrzehnten ein juristischer Streitpunkt. Allerdings entspricht meine Auffassung der juristischen Lehre.


    Para

  • Zitat von Paranoia

    Allerdings entspricht meine Auffassung der juristischen Lehre.


    Wenn dem so wäre,
    dann würde meine Ausbildung gerade in Sachen UZw und dem "Todesschuss" wohl entgegen der juristischen Lehre erfolgt sein - und die vom User zeitwesen ebenfalls.


    Hinzu käme, dass aktuelle Gesetzgebung in dieser Sache wohl auch gegen die juristische Lehre erfolgt ist. Der Finale Rettungsschuss ist erst kürzlich wieder in einem weiteren Bundesland gesetzlich verankert worden.
    Deiner Auslegung zu Folge wäre dieser Finale Rettungsschuss verfassungswidrig, und das würde auch von der herrschenden Meinung so vertreten.


    Ich denke, du bist hier eher auf der Seite der Mindermeinung, die es wohl zu jedem juristischen Sachverhalt gibt.

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  • Zitat von guardian_bw

    Wenn dem so wäre,
    dann würde meine Ausbildung (...) wohl entgegen der juristischen Lehre erfolgt sein - und die vom User zeitwesen ebenfalls.

    Meine auch.
    Ich halte mich aber mal dezent raus, denn meine Worte wären nicht so sorgfältig gewählt, wie die des Kollegen...

  • Zitat von guardian_bw


    Wenn dem so wäre,
    dann würde meine Ausbildung gerade in Sachen UZw und dem "Todesschuss" wohl entgegen der juristischen Lehre erfolgt sein - und die vom User zeitwesen ebenfalls.


    Das würde mich nicht wundern, denn die Ausbildung wird sich wohl eher an der herrschenden Rechtsprechung und vielfach dem Standpunkt der Polizei orientieren, als an der herrschenden Meinung der juristischen Lehre.



    Nein, ich habe sie nicht kopiert. Klar ist die Darstellung sehr verkürzt, aber mir fällt es dann doch schwer zwei Semester Verfassungsrecht so zu komprimieren, dass man Sie mit wenigen Sätzen darstellen kann.


    Zum Beispiel:
    Das Beispiel passt nicht. Auf welcher Grundlage erschießt den der Polizist "rechtmäßig" den Bankräuber? In Notwehr? Dann ist das kein Fall der hier paßt, weil die Notwehr des Polizisten nicht mit der im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates steht. Ansonsten bräuchte die "Rechtmäßigkeit" ein Gesetz, was den Polizisten erlaubt, Bankräuber zu erschießen und damit sind wir bei der Diskussion über den finalen Rettungsschuss, der auch nicht unumstritten ist.


    Auch ich denke, dass die Diskussion hier an einem toten Punkt angekommen ist. Aber ich denke, ich versuch es mit einem Fazit, mit dem alle Leben können:


    Folter ist in Deutschland nicht zulässig und zwar gegenüber niemanden, sei er auch noch so eine Sch... .
    Mag es im Einzelfall unbefriedigend sein, sind wir trotzdem froh in einem Staat zu leben, der die Grundrechte seiner Bürger schützt.
    In wie weit der Staat verfassungsgemäss das Grundrecht auf Leben einschränken darf, ist umstritten.

  • Zitat von Paranoia

    Das würde mich nicht wundern, denn die Ausbildung wird sich wohl eher an der herrschenden Rechtsprechung und vielfach dem Standpunkt der Polizei orientieren, als an der herrschenden Meinung der juristischen Lehre.


    Ist das nicht ein Widerspruch in sich? An was orientiert sich denn die Ausbildung der Richter? Die juristische Ausbildung einiger Berufsgruppen auf der einen Seite und die Rechtsprechung auf der anderen Seite orientieren sich nicht an der "juristischen Lehre"?


    Ok, die Ausbildung der Polizei, egal ob nun Ausbildung an der Schule für den mittleren Dienst oder Studium an der FH für den gehobenen Dienst ist nun nicht wirklich mit einem Jura-Studium gleich zu setzen.
    Aber ein Richter hat wohl ohne Zweifel ein solches Studium in Jura. Abgeschlossen mit zwei Staatsexamen. Wer, wenn nicht er, kommt in den Genuss der "juristischen Lehre"?
    Sollte sich in der Folge dann nicht auch die Rechtsprechung dieser Lehre anschließen?
    Und deiner Logik zufolge dann nicht auch die juristische Ausbildung z.B. der Polizei?




    Zitat von Paranoia

    Die Qualität der Gesetzgebung der letzten Jahre ist sehr schlecht. Gerade das Hickhack zur Regelung im Polizeigesetz von NRW hat das gezeigt.


    Ein gutes Beispiel für die Problematik, in wie weit eine Einschränkung des Grundrechts auf Leben in Bezug auf die Bestandsgarantie möglich ist, gab zuletzt das Urteil des Bundesverfassungsgericht zum LuftSiG, siehe z. B. http://www.jurawelt.com/sunris…diafiles/13610/lufsig.pdf .


    Ich gebe dir Recht, einige Gesetze waren in letzter Zeit tatsächlich verfassungswidrig.
    Aber gerade das Beispiel mit dem finalen Rettungsschuss passt in diese Reihe nicht hinein: Diese Rechtsgrundlage für die Polizei ist bereits seit Jahrzehnten in zahlreichen Bundesländern unbeanstandet vorhanden.
    Und dieses Gesetz, welches eben seit Jahrzehnten unbeanstandet in diversen Bundesländern vorhanden ist, greift ggf. recht endgültig in das besagte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit ein...


    Daher die Frage, was du mit dem Kernbereich meinst, welcher hier keinesfalls beeinträchtigt werden darf, wenn selbst derartige Gesetze offenkundig verfassungsgemäss (weil eben seit Jahrzehnten unbeanstandet) sind?


    Folgt man deiner Meinung, wäre jegliche Maßnahme des unmittelbaren Zwangs durch die Polizei, auch nicht tödliche Maßnahmen verfassungswidrig, weil hierbei immer in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingegriffen wird.





    Zitat von Paranoia

    Auf welcher Grundlage erschießt den der Polizist "rechtmäßig" den Bankräuber? In Notwehr?


    Der Schusswaffengebrauch wird hier immer nach den jeweiligen Vorschriften zum unmittelbaren Zwang in den Polizeigesetzen erfolgen.
    Hierbei ist natürlich (im Gegensatz zur Notwehr) der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wie bei jeglicher staatlichen Maßnahme.
    Soweit alles im grünen Bereich ist, ist der Schusswaffengebrauch rechtmässig - unabhängig von der Frage nach dem finalen Rettungsschuss. Dieser liegt nur vor, wenn es sich um einen gezielten Schuss handelt, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird.
    Theoretisch darf dieser finale Rettungsschuss zwar auch von normalen Streifenpolizisten durchgeführt werden,
    in der Praxis wird das jedoch kaum geschehen.
    In aller Regel wird der Streifenbeamte einen normalen Schusswaffengebrauch durchführen: Der Streifenbeamte wird in den wenigsten Lagen mit Schusswaffengebrauch die Zeit haben, entsprechend zu zielen. Dieser Schusswaffengebrauch kann eben auch tödlich enden.


    Und dass Polizisten grundsätzlich auf Beine zielen müssen, ist eine Mär - es wird grundsätzlich dahin geschossen, wo die höchste Trefferwahrscheinlichkeit und Wirkung erzielt werden kann: Der Torso. Eine tödliche Wirkung wird dabei in Kauf genommen, ist aber nicht das Ziel des Schusswaffengebrauchs.


    Womit wir wieder bei der Frage nach dem Kernbereich des Grundrechts angelangt sind, welcher deiner Meinung nach nicht eingeschränkt werden darf...

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  • Zitat von guardian_bw

    Aber ein Richter hat wohl ohne Zweifel ein solches Studium in Jura. Abgeschlossen mit zwei Staatsexamen. Wer, wenn nicht er, kommt in den Genuss der "juristischen Lehre"?
    Sollte sich in der Folge dann nicht auch die Rechtsprechung dieser Lehre anschließen?
    Und deiner Logik zufolge dann nicht auch die juristische Ausbildung z.B. der Polizei?

    Glaube es oder glaube es nicht, die juristische Lehre(Universität) unterscheidet sich schon lange von der juristischen Praxis/Rechtssprechung(Gericht). Viele Theorienstreits und unterschiedliche Ansätze werden nach Abschluss des juristischen Studiums für die meisten Juristen hinfällig, weil man sich praktischerweise nur noch an der herrschenden Rechtsprechung orientiert. Diese kommen erst dann wieder zur Anwendung, wenn es zu Grundsatzentscheidungen (sowohl neue Thematiken als auch Änderungen) durch ein hohes Gericht kommt, manchmal OLG, meist BGH und BVerfG, wo dann wieder Rückgriff auf die Theorien und den Stand der Lehre genommen wird.



    Zitat von guardian_bw

    Folgt man deiner Meinung, wäre jegliche Maßnahme des unmittelbaren Zwangs durch die Polizei, auch nicht tödliche Maßnahmen verfassungswidrig, weil hierbei immer in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingegriffen wird...

    Nein.
    Ich habe nie gesagt, das jeder Eingriff in die körperliche Unversehrheit unzulässig ist.
    Bei der verfassungsrechtlichen Schranken-Schranken Betrachtung wird geprüft in wie weit die Einschränkung des Grundrechts per Gesetz möglich ist, ohne den Kernbereich des Grundrechtes anzugreifen, der nicht eingeschränkt werden darf. Bildlich als Skala Eingriffsschwere in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrheit


    Schwere des Eingriffs 1 > 2 > 3 > 4 > 5 > 6 > 7 >8 > 9 > 10
    z. B.
    Massentötung > Folter > Todesschuss > Medizinische Zwangsmaßnahmen > Gesundheitsschutz > Zwangshaareschneiden beim Bund


    Du siehst also eine Skala der Schwere des Eingriffs in das Grundrecht. Ein Eingriff in das Grundrecht ist per Gesetz möglich, aber es gibt einen bestimmten Bereich, in den auch via Ermächtigungsgesetz nicht Eingegriffen werden kann, ohne dass das Grundrecht damit die Substanz verliert. Also werden mit der Schranken-Schranken Theorie jedem Gesetz, dass in ein Grundrecht eingreift, Grenzen gesetzt, über die es nicht hinausgehen darf. Das ist auch, was Artikel 19 II mit "(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden." ausdrückt. Dieser Wesensgehalt, oder der Kernbereich des Grundrechtes, kann nicht angegriffen oder per Gesetz eingeschränkt werden, was ich als den absoluten Teil dieses Grundrechts bezeichnet habe.
    Als ganz extremes Beispiel: Die Bundesregierung beschließt per Gesetz bei jeder Stadt, bei der die Kriminalitätsrate oder der Anteil an Kinderschändern über einen bestimmten Prozentsatz geht, die Staat abzuriegeln und alle Einwohner zu töten, um die Kriminalität zu bekämpfen. Dieser Eingriff wäre auch per Gesetz unzulässig, weil hier in den absolut geschützten Wesensbereich des Artikels 2 II eingegriffen wird.


    Und nun kommen wir zur Frage, wo die Grenze des absolut geschützten Bereichs des Artikel 2 II liegt. Hier bin ich der Meinung, dass sie auf jeden Fall vor der Eingriffsschwere von Folter liegt. Beim gezielten Todesschuss wird hier sehr viel diskutiert, ob der Staat sich selber das Recht geben darf, eine Person zu töten. Hier hat das Bundesverfassungsgericht in der letzten Entscheidung zum LuftSig entschieden, dass der Staat sich nicht das Recht geben darf, wenn dabei auch Unschuldige betroffen sind. Allerdings hat er dabei angedeutet, dass eine Person, die hier einen solchen Abschuss tätigen würde, wahrscheinlich im Rahmen der Notwehr/Nothilfe nicht strafrechtlich verfolgt werden dürfte. Dies ist nicht unbedingt befriedigend, aber ich kann auch den Widerwillen verstehen, dem Staat die Erlaubnis zu geben, Unschuldige für den höheren Zweck zu opfern. Bei der Anwendung von tödlicher Gewalt gegen Schuldige, soweit das Leben anderer in hohem Maße gefährdet ist, sieht die Diskussion wieder etwas anders aus, auch da eine Abwägung des Grundrechtes auf Leben zwischen Täter und Opfern hier als zulässig erachtet wird. Aber viele Landesverfassungsgerichte gehen auch davon aus, dass ein Polizist nicht zu dieser Entscheidung gezwungen werden darf, sonder dies selbst entscheiden muss....


    Und zurück zum Ausgangsfall: Einen Verdächtigen, der keiner Tat überführt ist und auch nicht auf frischer Tat ertappt wurde, mit Eingriff auf die körperliche Unversehrtheit zu einer Aussage zu zwingen ist für mich definitiv ein Eingriff in den Wesensgehalt des Artikel 2 II, der nach Artikel 19 II auch per Gesetz nicht zulässig ist. Daher meine Ausage, dass es sich hier um den absoluten Schutzbereich des Grundrechtes handelt.


    Para
    Edit durch stinkefuchs
    Mal lesbar gemacht...


    Edit durch ParaBellum
    Skala umgestellt...

  • Ganz ehrlich:


    Ich habe noch nie auch nur ansatzweise etwas davon gehört, was du da schreibst.
    Heute habe ich mir auch die Zeit genommen und in meiner verfügbaren Literatur nachgeschlagen, auch dort ist nichts derartiges zu finden.
    Die Wesensgehaltsgarantie ist mir natürlich ein Begriff, jedoch ist mir dieses Thema in einer etwas anderen Art bekannt als das, was du da schreibst.
    Das jetzt auszuführen, würde den Rahmen sprengen.


    Zur Frage der bedrohten Grundrechte bei einer (angedrohten) Folter wird auch in meiner gesamten verfügbaren Literatur nur auf Art. 1 (1) GG eingegangen, Art. 2 (2) GG wird hier nicht einmal angeschnitten.



    Noch eine Frage dazu:

    Zitat

    Du siehst also eine Skala der Schwere des Eingriffs in das Grundrecht. Ein Eingriff in das Grundrecht ist per Gesetz möglich, aber es gibt einen bestimmten Bereich, in den auch via Ermächtigungsgesetz nicht Eingegriffen werden kann, ohne dass das Grundrecht damit die Substanz verliert.


    Wenn der Grundrechtsträger tot ist, hat sein Grundrecht nach Art. 2 (2) GG hier gar keine Substanz mehr, es ist vielmehr hinfällig.


    Dieser Logik folgend wäre deiner Ansicht nach jegliche Maßnahme des Staates gegen einen Grundrechtsträger nicht zulässig, wenn dabei dieser getötet werden könnte. Selbst einfache körperliche Gewalt im Rahmen der Durchführung unmittelbaren Zwangs kann tödlich enden. Stichwort "lagebedingter Erstickungstod".
    Von einem "normalen" Schusswaffengebrauch wollen wir hier gar nicht reden, zum finalen Rettungsschuss kommen wir noch.


    Dieser Logik weiter folgend wäre auch die Schwere des Grundrechtseingriffes bei einer Folter als niedriger einzustufen als bei einer Tötung des Grundrechtsträgers:
    Bei einer Folter wird die Substanz lediglich beeinträchtigt, bei einer Tötung beseitigt.


    Kommen wir zum finalen Rettungsschuss:

    Zitat

    Beim gezielten Todesschuss wird hier sehr viel diskutiert, ob der Staat sich selber das Recht geben darf, eine Person zu töten. Hier hat das Bundesverfassungsgericht in der letzten Entscheidung zum LuftSig entschieden, dass der Staat sich nicht das Recht geben darf, wenn dabei auch Unschuldige betroffen sind.


    In der Frage um die verfassungsrechtliche Legitimität des finalen Rettungsschusses mit der BVerfG-Entscheidung zum LuftSiG zu kommen, ist wenig zielführend, da es sich um nicht vergleichbare Sachverhalte handelt:


    Beim Abschuss eines Verkehrsflugzeugs werden neben dem Störer auch unbeteiligte Menschen getötet.


    Beim finalen Rettungsschuss, der als gezielter Schuss einzig auf den Störer abgegeben wird, werden die Rechte Unbeteiligter nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil, sie werden dadurch geschützt. Der Staat tritt hier im Falle des vom Störer bedrohten Grundrechtsträgers als Garant für dessen Grundrechte auf.
    Natürlich gibt es Gemeinsamkeiten: In beiden Fällen handelt es sich um präventive Maßnahmen und nicht um repressive, und auch im Falle des Flugzeugabschusses würden die Grundrechte Unbeteiligter (ausserhalb des Flugzeugs) geschützt werden.
    Diese Gemeinsamkeiten reichen für mich jedoch nicht aus, um einen passenden Vergleich zu ziehen.


    Der finale Rettungsschuss als solcher ist legitim.
    Der Streit in NRW vor Einführung der speziellen Vorschrift ging auch weniger um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines solchen staatlichen Eingriffs.
    Es ging vielmehr darum, dass es den Standpunkt gibt oder gab, die bislang vorhandenen Eingriffsermächtigungen wären auch für den finalen Rettungsschuss ausreichend.
    Und da kann man sagen, dass nicht zuletzt aufgrund des Bestimmtheitsgebots die bislang verwendete Eingriffsermächtigung aus dem PolG NRW nicht präzise genug für den finalen Rettungsschuss und damit streng genommen verfassungswidrig war: Je tiefgreifender sich ein Grundrechtseingriff nach Art und Umfang im Einzelnen darstellt, um so präziser muss hierfür die Ermächtigungsgrundlage im Gesetz sein.


    Durch die spezielle Regelung zum finalen Rettungsschuss wurde dieser verfassungsrechtlich fragwürdige Zustand beseitigt, es besteht mittlerweile eine inhaltlich zweifelsfreie und ausdrückliche Ermächtigung im Gesetz, die den Todesschuss unter den gegebenen Umständen legitimiert und dadurch auch dem Gesetzesvorbehalt als Schranke des Art. 2 (2) Satz 3 GG genügt.


    Die Tötung eines Grundrechtsträgers stellt wohl den denkbar intensivsten Grundrechtseingriff dar,
    insofern erscheint mir deine Argumentation insgesamt nicht logisch:
    Wenn selbst die Tötung eines Menschen im Rahmen des finalen Rettungsschusses nicht verfassungswidrig ist (so die hM),
    hierbei aber der Kernbereich des Grundrechts nach Art. 2 (2) GG nicht nur beeinträchtigt, sondern durch die Tötung des Grundrechtsträgers in diesem Fall sogar beseitigt wird,
    macht deine Argumentation einfach keinen Sinn und die Frage bleibt:


    Wo siehst du den von dir gemeinten Kernbereich des Art. 2 (2) GG, welcher deiner Meinung nach nicht eingeschränkt werden darf, wenn sogar die Tötung des Grundrechtsträgers legitimiert sein kann?




    Und nebenbei noch eine Bitte als Moderator:
    Könntest du deine Skala soweit abändern, dass der Monitor dadurch nicht gerade gesprengt wird?
    Nicht jeder User hat einen 21" zur Verfügung, und seitlich scrollen kann auf Dauer nerven...


    Weiterhin werde ich diese Diskussion mittlerweile lieber abtrennen und verschieben, da es hier nicht mehr um das Thema Gäfgen geht

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    Team_Signatur

  • Gut, kommen wir nun zu dem Punkt, wieso auf Artikel 1 und nicht auf Artikel 2 gegriffen wird.


    Artikel 1 ist in seiner Gesamtheit absolut, bei Artikel 2 darf der Kernbereich nicht angegriffen werden. Dies führt dazu, dass der Artikel 2 eine Abwägung mit anderen Grundrechten zuläßt. Dies ist zum Beispiel ein typischer Fall beim Todesschuss. Hier wird das Recht auch Leben des Ziel eines Todesschusses gegen das Recht auf Leben von anderen abgewogen. Nun kommen die Gesichtspunkte ins Spiel, dass es sich um einen kriminellen Täter handeln muss, der vorsätzlich das Leben von anderen nachhaltig und glaubhaft bedroht. In diesen Fällen, Täter hat Situation selber geschaffen und das Grundrecht auf Leben von Unschuldigen ist bedroht, führt die Abwägung von Grundrechten dazu, dass das Grundrecht eines unschuldigen Opfers höher bewertet wird, als das Grundrecht dieses Täters.


    Aber, dies ist anderes bei unschuldigen Opfern, wie es das Urteil des BVerfG beim FlugSig dargestellt hat. Der Staats hat kein Recht, das Leben von Unschuldigen gegen andere Unschuldige abzuwägen(Hier sind wir wieder im Kernbereich, der absolut geschützt ist.)


    Wieso gilt das auch für Folter? Juristisch ist jeder, der nicht durch eine Gericht verurteilt wurde, als unschuldig zu betrachten. Die einzige Ausnahmesituation ist wie beim Todesschuss das Ertappen auf frischer Tat bei bestehender Bedrohungslage. Damit ist die Folter als Verstoß gegen Artikel 2 zu keinem Zeitpunkt zulässig (wobei Sie natürlich auch gegen andere Punkte des Rechtsstaates verstößt, einschließlich seiner Grundlagen.)


    Wieso dann aber die Entscheidung auf Grundlage von Artikel 1 Menschenrechte und nicht auf Artikel 2?


    1. Artikel 1 erlaubt generell keine Abwägung, so dass hier jede diesbezügliche Diskussion gesperrt ist.
    2. Im Fall G. wurde der Polizeigriff nicht als Folter gewertet, so dass nur eine Drohung mit einem Verstoß gegen Artikel 2 gewertete wurde. Rein inhaltlich verbietet Artikel 2 nur den Eingriff auf das Grundrecht auf Leben, nicht die Drohung mit dem Eingriff.


    Wie hat dieses Diskussion angefangen?


    Ich habe gesagt, dass G. in seinen Grundrechten verletzt wurde. Und nicht nur in seinem Grundrecht auf Menschenwürde.
    Dies bezog sich darauf, dass die Drohung mit dem(unzulässigen) Eingriff auf die körperliche Unversehrtheit (Artikel 2) einen Eingriff auf die Menschenwürde nach Artikel 1 darstellt.
    Hier kann man nach meiner Auffassung nicht nur auf Artikel 1 abstellen, da Artikel 2 auch wesentlicher Bestandteil ist und daher liegt für mich eine Verletzung von Grundrechten vor.
    Hinzu kommt, dass ein Teil der Befragung im besagten Polizeigriff durchgeführt wurde, also unter Zufügung von Schmerzen. Das ist für mich keine Drohung mit Folter, sondern Folter. Somit hätte auch ein aktiver Verstoß gegen Artikel 2 vorgelegen, was allerdings im hier besprochenen Prozess und vor dem EuGH so nicht geurteilt wurde.


    P. S. Eine ganz große Idiotie begeht jetzt gerade die Staatsanwaltschaft in diesem Prozess, weil Sie die Entschädigung mit den bestehenden Gerichtskosten verrechnen will. kein 3 Monate, nach dem der BGH eine solche Aufrechnung für einen wie hier vorliegenden Fall ausdrücklich als rechtswidrig untersagt hat. Siehe auch
    http://www.kanzlei-hoenig.info…ung-der-oberrittmeisterin
    http://www.lawblog.de/index.ph…-wird-sein-geld-bekommen/


    P.S. 2 Ich skaliere eigentlich gar nicht, sondern las die Software automatisch umbrechen. Einzige Ausnahme war die Skala zur Erklärung der Schwere des Eingriffs. Hier waren die Punkte nötig, da Leerzeichen zu sehr gestaucht wurden. Ich formatier mal um.


    Para

  • Zitat von Paranoia

    Wieso gilt das auch für Folter? Juristisch ist jeder, der nicht durch eine Gericht verurteilt wurde, als unschuldig zu betrachten.


    Das stimmt in soweit, wie wir in der Strafverfolgung sind.
    Im Fall Gäfgen/Daschner jedoch ging es bei der Androhung der Folter jedoch nicht um die Erlangung eines Geständnisses und damit zum Zweck der Strafverfolgung, sondern einzig um die Gefahrenabwehr: Die Rettung des Kindes.


    In der Gefahrenabwehr hat die Unschuldsvermutung keine Bedeutung.


    Hier ist auch der finale Rettungsschuss einzuordnen: Das ist eine Maßnahme aus dem Polizeirecht, reines Gefahrenabwehrrecht, bei der ein "juristisch Unschuldiger" getötet wird.
    Die Maßnahme richtet sich gegen einen Störer, auch "Gefährder" genannt. Das kann auch jemand sein, der nicht Täter im kriminalistischen Sinn ist.


    Unterschied zum Flugzeugabschuss: Die Menschen, die dort dann zwangsläufig auch getötet werden, sind keine Störer/Gefährder im Sinne der Gefahrenabwehr.


    Und damit bleibt die Frage nach deinem Kernbereich noch immer unbeantwortet.


    Zitat von Paranoia

    1. Artikel 1 erlaubt generell keine Abwägung, so dass hier jede diesbezügliche Diskussion gesperrt ist.
    2. Im Fall G. wurde der Polizeigriff nicht als Folter gewertet, so dass nur eine Drohung mit einem Verstoß gegen Artikel 2 gewertete wurde. Rein inhaltlich verbietet Artikel 2 nur den Eingriff auf das Grundrecht auf Leben, nicht die Drohung mit dem Eingriff.


    Noch einmal:
    Was der EGMR zum Fall sagte, ist in der rein deutschen Einordnung des Sachverhalts eher irrelevant.


    Der EGMR hat richtigerweise entschieden, dass hier keine Folter vorlag - mehr nicht.
    Die Androhung der Folter ist nach deutschem Recht ein Verstoß gegen Art. 1 GG. Dazu kann der EGMR gar nichts sagen, weil in der EMRK die Würde des Menschen gar nicht berücksichtigt ist: Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist einzig in der deutschen Verfassung verbrieft.

    "Was ich anpacke, klappt immer..... ...manchmal
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    Team_Signatur

  • Zitat von guardian_bw

    Das stimmt in soweit, wie wir in der Strafverfolgung sind.
    Im Fall Gäfgen/Daschner jedoch ging es bei der Androhung der Folter jedoch nicht um die Erlangung eines Geständnisses und damit zum Zweck der Strafverfolgung, sondern einzig um die Gefahrenabwehr: Die Rettung des Kindes.


    In der Gefahrenabwehr hat die Unschuldsvermutung keine Bedeutung.


    Und auf Grund der Gefahrenabwehr kann man dann Grundrechte einschränken. Am besten mit der unbestimmten Regelung zur Gefahr in Verzug?
    Nein. Auch in der Gefahrenabwehr des Polizeirechts haben die Grundrechte bindende Wirkung und binden sogar stärker als im Strafrecht.


    Zitat von guardian_bw

    Hier ist auch der finale Rettungsschuss einzuordnen: Das ist eine Maßnahme aus dem Polizeirecht, reines Gefahrenabwehrrecht, bei der ein "juristisch Unschuldiger" getötet wird.
    Die Maßnahme richtet sich gegen einen Störer, auch "Gefährder" genannt. Das kann (eher höchst theoretisch) auch jemand sein, der nicht Täter im kriminalistischen Sinn ist.


    Unterschied zum Flugzeugabschuss: Die Menschen, die dort dann zwangsläufig auch getötet werden, sind keine Störer/Gefährder im Sinne der Gefahrenabwehr und wären ein nicht hinnehmbarer Kolateralschaden.


    In wie weit ein Störer ein juristisch Unschuldiger ist, läßt sich streiten. Solange durch Ihn die Störung beendet werden kann, ist es zumindest Unterlassen, wenn er die Störung nicht beenden kann, hätte eine Aktion gegen Ihn keine Wirkung. (Stichwirt dabei Gefahr in Verzug/ auf frischer Tag im Gegensatz zu verurteilt). Der zweite Absatz drückt im Kurzen aus, was ich oben wiedergegeben habe.


    Zitat von guardian_bw

    Und damit bleibt die Frage nach deinem Kernbereich noch immer unbeantwortet.
    .


    Du möchtest es kurz: Jede Einschränkung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrheit, dass gesetzlich nach Artikel 19 II nicht zugelassen werden kann, weil es in den Wesensgehalt der Grundrechtes eingreifen würde. Und damit jeder Eingriff mit nicht nur unwesentlicher Eingriffsstärke gegen Bundesbürger, die selber keine Anlass zu diesem Eingriff begangen haben, getroffen.


    Zitat von guardian_bw

    Noch einmal:
    Was der EGMR zum Fall sagte, ist in der rein deutschen Einordnung des Sachverhalts eher irrelevant.


    Der EGMR hat richtigerweise entschieden, dass hier keine Folter vorlag - mehr nicht.
    Die Androhung der Folter ist nach deutschem Recht ein Verstoß gegen Art. 1 GG. Dazu kann der EGMR gar nichts sagen, weil in der EMRK die Würde des Menschen gar nicht berücksichtigt ist: Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist einzig in der deutschen Verfassung verbrieft.


    Beide Punkte sind falsch:


    1. Was der EGMR sagt, ist auf keinen Fall für den deutschen Sachverhalt relevant. Wie mit der "Solange II " Entscheidung der BVerfG bestätigt, sind die Entscheidungen der oberen europäischen Gerichte über eine Entscheidung von deutschen Gerichten gestellt und binden damit jedes deutsche Gericht. Einschließlich des Bundesverfassungsgerichtes (Die Einschränkung, die sich das BVerfG dazu gesetzt hat lasse ich aus. Das würde sehr umfangreich.)


    2. Die EMRK berücksichtigt die Würde des Menschen nicht? Wahrscheinlich heißt deswegen die deutsche Fassung der Artikel 1 des EMRK "Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte".


    Ja, der EMRK hat den Strafprozess nicht verhindert, weil er hier keine Folter gesehen hat. Aber er hat in der Drohung mit einer Maßnahme nach Artikel 3 EMRK (Folter) einen Eingriff in Artikel " EMRK gesehen, wonach ein Verstoß gegen Artikel 1 EMRK vorliegt. Und mit dieser Entscheidung hat er die deutschen Gerichte gebunden, so dass keine anderes Ergebnis als die Entschädigung für eine Entschädigung auf Grund der Eingriffe in die Menschenrechte möglich war.



    Einfach mal deutlich ausgedrückt: Auch die Grundrechte, die Kraft Gesetz eingeschränkt werden dürfen, können nicht grenzenlos eingeschränkt werden. Auch für die Einschränkung dieser Grundrechte gibt es Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Hier leigt der Kernbereich oder der Wesensgehalt des jeweiligen Grundrechtes.
    Für alles weiter empfehle ich den Grundgesetzkommentar von Prof Sachst . Aus den Diskussionen und Gesprächen mit meinem ehemaligen Professor stammt ein großer Teil der Grundlagen meiner hier vorliegenden Darstellung.


    Para

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