Prägende Ereignisse

  • Guten Morgen an alle,


    mich würde Interessieren, ob Ihr im Bewachungsgewerbe schon einmal prägende Ereignisse erlebt habt.

    Dinge, die euch im nachhinein nachhaltig verändert oder eine gewisse Einstellung von euch, noch mal zum überdenken gebracht hat.

    Oder ob eure Moraleinstellung euch schonmal an etwas gehindert hat?


    Ich meine, falls ich mal irgendwann als Schutz vor Ladendieben eingesetzt werden sollte und augenscheinlich erkenne, dass ein älterer Herr 2 Semmeln und eine Zahnbürste einsteckt und ich durch sein äußeres Erscheinungsbild sehe, dass es dieser Person nicht gut geht was das finanzielle betrifft, schon erst einmal schlucken müsste.


    Das Rechtfertigt keinen Diebstahl, dass stimmt. Nur ist es aus menschlicher Sicht irgendwie schwer vorzustellen, die Person dann tatsächlich zu überführen. Laut Gesetz sind wir dazu verpflichtet aufgrund der Garantenstellung, einzustehen das der tatbestandsmäßige Erfolg ausbleibt. In meinem Beitrag geht es vor allem um Psychologie.

    (Das mit dem älteren Herrn war nur ein Beispiel, beißt euch nicht darauf fest. :P)

  • Ja, hatte ich.

    Das geht jetzt weit ins private rein, aber ich hab mittlerweile genug Distanz um darüber reden zu können und es ist meine Geschichte.


    Es war bei der Verleihung der Goldenen Kamera 2011. Seit 5 Jahren hatte ich die Sachkunde und war eingesetzt im erweiterten Personenschutz für Michael J. Fox auf der Vorstandsetage eines großen Medienkonzerns.

    14 Stunden am Stück, keine Pause, für 7,50 Euro die Stunde.

    Ansonsten arbeitete ich damals als Einzelhandelsdetektiv, Objektschutz und für Aufträge, die SMA erforderten die zbV eingesetzt werden konnten.


    Als ich dann nach Hause fuhr, stellte ich meine berufliche Perspektive in Frage.

    Ich beschloss dass es so nicht weitergehen kann. Ich war hungrig und wollte mehr.

    Mehr Wissen, mehr Verantwortung, mehr Geld, mehr Perspektive.


    Ich wusste, entweder entwickelst du dich weg vom Bewachungsgewerbe oder steigst auf.

    Ich war zu alt für eine Förderung BAB, daher kam eine klassische Ausbildung auch nicht in Frage.

    Ich wurde aktiv arbeitslos und nervte meine Sachbearbeiter mit Weiterbildungsbegehren und lehnte aufgrund von psychischen Belastungszuständen Arbeitsangebote im Bewachungsgewerbe auf Sachkundebasis ab.

    Damals hatte ich gewisse Vermittlungshemnisse, die ich offen kommunizierte (verschuldet und Drogenkonsum) und man verlangte, dass ich diese erstmal abbaue, bevor in mich investiert werden konnte.

    Ich durchlief 3 Jahre 3 verschiedene AGH (1 euro job) und musste meine Durchhaltekraft unter Beweis stellen. Zeitgleich baute ich meine Vermittlungshemnisse ab, musste zum berufspsychologischen Dienst, regelmäßigen Drogenscreening und zur Schuldnerberatung, zur Eröffnung der Privatinsolvenz.


    Als ich das alles auf die Kette gekriegt hatte, bekam ich 2015 ein Angebot für eine schulische Ausbildungsmaßnahme zur SKSS mit Praktikaphasen. Von 35 Schülern war ich 2016 einer von 3 die die Prüfung erfolgreich bestanden haben.


    2 Dozenten (Master SecMan) wurden während der Ausbildung auf mich aufmerksam und ich wurde eingeladen, mit denen zusammenzuarbeiten, um Literatur für Qualifizierungen in Bewachungsgewerbe zu schreiben, inkl. Zuverdienst zum kargen ALG2.

    Im Kern für die SKSS, was natürlich einen enormen Lerneffekt hatte. Nach der Schule ins Auto, ab ins Büro und bis 21 Uhr als Ghostwriter Texte schreiben.

    Ich bekam auch Einblicke ins Sicherheitsgewerbe, Management und erweiterte meinen Tellerrand und nahm an allerhand interessanten Unternehmungen teil (Feuerwehrübung an der FH Brandenburg, Securitymesse in Essen).

    Während der Ausbildung fing ich über diese Connection an bei anderen Bildungsträgern als Dozent auszubilden (an den Tagen war ich "krank", aber was sollte ich verpassen, ich hatte einen imensen Wissensvorsprung) und nach der Ausbildung hab ich die AdA absolviert.

    Ich arbeitete die kommenden 3 Jahre weiter als Ghostwriter, auch für Berufsabschlüsse weit entfernt vom Bewachungsgewerbe und immer mehr auch als Dozent für Sachkunde, GSSK und FKSS. Und wir waren die ersten, die die Sachkunde als AZAV zertifizierte Maßnahme als Fernlehrgang (dfu inkl) angeboten hatten und waren durchaus erfolgreich, wenngleich das Klientel für diese Art der Vermittlung rar gesät war und die Akzeptanz der Leistungsträger mühsam erkämpft werden musste.

    Wir wurden auf der Securitymesse mit einem BDSW Innovationaward geehrt, aber das ist mittlerweile verpufft und das Unternehmen wurde eingestampft.


    Zwischendurch wurde ich Brandschutzbeauftragter, konnte diese Qualifikation aber nie versilbern, daher lasse ich diese auslaufen und werde sie noch dieses Jahr verlieren. Aber das ist okay, sollen andere sich damit rumplacken, mir bleibt das Wissen erhalten und das ist für mich mehr Wert als ein Titel, der nie amortisiert werden konnte.


    Dadurch habe ich mittlerweile einen immensen Wissensschatz aufbauen können und werde im kommenden Jahr zur Meisterprüfung antreten.

    Ich arbeite nun als Einsatzplaner für ca. 350 SMA und auch strategisch/administrativ in einem größeren Unternehmen und unterstehe direkt der Geschäftsführung.

    Einige meiner Schüler sehe ich noch heute, was teilweise sehr ulkig ist.


    Im November diesen Jahres ist meine Schufa wieder sauber, bin clean und kann von mir sagen, dass ich ein anderer Mensch geworden bin und ein Beispiel für erfolgreiche Wiedereingliederung und Rehabilitation.


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    Klar gab es gewisse Erlebnisse als Einzelhandelsdetektiv, die unschön waren.

    Eine Oma die verstohlen eine Packung Scheibenkäse in der Handtasche verschwinden ließ war meine erste Erfahrung, aber das hatte mich nicht wirklich psychisch belastet, als ich sie gestellt hatte und Hausverbot ausgesprochen hab.

    Was kann der Auftraggeber für die Nöte der Kunden? Moral ist eh etwas sehr streitbares und zumindest für mich, nicht Leitlinie meiner Entscheidungen und Gedanken.


    Eine ganz andere Kategorie war eine junge Frau, die unter dem stark geschminkten Gesicht von ihrem "Freund" blau geschlagen war und gezwungen wurde Diebstähle zu begehen. Das hat mich deutlich stärker mitgenommen, als sie mit verheulten Gesicht vor uns saß und die Verletzungsspuren sichtbar wurden.

    Der Auftraggeber hatte in dem Fall auch von einer Diebstahlsanzeige abgesehen, Bedingung war allerdings, dass sie gegen ihren Peiniger Strafanzeige stellt. Hatte sie dann auch so gemacht, keine Ahnung wie das ausgegangen ist.

    Dieses Beispiel bringe ich häufig, wenn ich von Schülern nach belastenden Momenten gefragt werde.

  • Was mich in der Sicherheitsbranche geprägt hat , waren die Erfahrungen als Doorman bei Banken und Sparkassen während der Lockdowns. Ich habe die Tätigkeit aus reiner Langeweile gemacht um während des Lockdowns nicht wie blöd daheim abzuhängen neben meiner Tätigkeit als Pförtner.

    Mein Weltbild hat sich verändert und zwar war ich immer der Meinung das die Jugendlichen und Asylanten total asozial in unserer Gesellschaft sind und nein es die Rentner und alten Leute die total asozial und bekloppt sind. Das war schon heftig!

  • Ja, hatte ich.

    Das geht jetzt weit ins private rein, aber ich hab mittlerweile genug Distanz um darüber reden zu können und es ist meine Geschichte.

    Ich spreche meinen vollsten Respekt aus, ich bedanke mich recht herzlich, dass du das mit mir geteilt hast. Sehr gelungener Beitrag!!!


    Mein Weltbild hat sich verändert und zwar war ich immer der Meinung das die Jugendlichen und Asylanten total asozial in unserer Gesellschaft sind und nein es die Rentner und alten Leute die total asozial und bekloppt sind. Das war schon heftig!

    Sehr interessante Erfahrung, freut mich das deine Sicht sich dadurch noch mal gewendet hat!

  • Ich spreche meinen vollsten Respekt aus, ich bedanke mich recht herzlich, dass du das mit mir geteilt hast. Sehr gelungener Beitrag!!!


    Sehr interessante Erfahrung, freut mich das deine Sicht sich dadurch noch mal gewendet hat!

    Ob es positiv ist kann man schwer beurteilen.

    Es bringt aber ein besseres Verständnis über die Gesellschaft.

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